Oh Gott – igitt!
Die neue Biederkeit im Netz
Der Mai ist gekommen, zum Glück sind trotz der Kälte die Bäume nicht erfroren, den Waldmeister habe ich schon geerntet, die Maiglöckchen lassen noch auf sich warten. Aber nicht nur die kalten Temperaturen hier im Norden machen mir Sorgen. Auch im Netz herrscht die eisige Gewalt der mächtigen Zensierer. Es wird nicht nur oh Gott oder igitt gerufen, sondern auf allen möglichern Plattformen im Internet ist es jetzt in Mode gekommen, Nacktheit zu beanstanden, bis hin zu verbieten – von wegen Lüsterne Blicke auf den Mann!*
*Die Überschrift des Zeitungsartikels, auf dem die Zeichnung entstanden ist.
Kunst braucht Öffentlichkeit
Die harmloseste Sanktion bzw. womit es anfängt ist, dass ich aufgefortert werde, meine Bilder mit NSFW zu kennzeichnen. NSFW bedeutet Not Save For Work. Diese Einstellung sorgt dafür, dass Bilder nur verdeckt angezeigt werden und durch aktiven Klick der Nutzenden sichtbar gemacht werden. Das ist für mich nicht nützlich – Kunst braucht Öffentlichkeit und ich brauche Öffentlichkeit für meine Kunst.
Akte sind halt nackt
Ich bin seit mehr las 40 Jahren bildende Künstlerin mit unterschiedlichen Werk-Arten. In meinen verschiedenen Accounts poste ich Aktzeichnungen auf Zeitungspapier, die in öffentlichen Aktzeichen-Sessions, die ich z.T. selbst veranstalte, entstanden sind und entstehen. Diese Aktzeichnungen zeigen Akte, wie sie seit Jahrhunderten in Museen und Galerien zu sehen sind. Akte sind halt nackt und sind ein künstlerisches Genre, das sich mit der Körperlichkeit des Menschen beschäftigt. Aktzeichnungen oder Aktmalerei ist nicht dazu gedacht, die abgebildeten Personen zu sexualisieren oder zu diskriminieren. Meine Akte stellen keine sexuellen Handlungen dar – sie sind dick, dünn, groß, klein, alt, jung (keine Kinder), sie zeigen den menschlichen Körper mit all seinen Ausprägungen, ohne Body-Shaming.
Kunstfreiheit
Ich poste meine Bilder unter dem Hashtag #Kunstfreiheit, weil ich der Meinung bin, dass Kunst und dazu gehört auch nackte Kunst nicht verdeckt werden sollte. Und ich als Künstlerin habe ein besonderes Interesse daran, dass meine Kunst gesehen wird. In einer Welt, wo Frauen unter harten Repressionen ihre Schleier abwerfen, weil sie nicht möchten, dass ihnen vorgeschrieben wird, wie sie sich zu kleiden haben, sollten wir nicht anfangen, uns selbst zu zensieren.
Ich persönlich halte z.b. aufreizende Manga-Anime für wesentlich sexistischer und verstörender, und ich möchte diese nicht sehen. Das schreibe ich aber niemandem vor, sondern schalte die Accounts stumm, die diese Bilder posten. So halte ich es auch mit anderen aufreizenden und anzüglichen Fotos, die ich nicht in meiner Timeline haben möchte. Manche möchten, dass Akte mit dem Stichwort sexy oder kinky gepostet werden. Aber genau das möchte ich nicht. Denn Aktzeichnungen sind nicht sexy und nicht kinky – sie sind Kunstgenre, s.o.
Pingback: Moral … eines meiner Lieblingsthemen (*nicht)